wir über uns

Vorneweg: Leben in Gemeinschaft

Seit nun mehr vierzig Jahren ist die Kooperative in Dürnau ansässig. Bereits vor dem Umzug aus Wuppertal nach Oberschwaben nannten wir uns Kooperative, legten immer schon Wert auf die Wortbedeutung, die gemeinsames Vorgehen in den Vordergrund stellte, nicht aber Gemeinsamkeiten in der Lebensgestaltung, und eine gemeinsame Doktrin hatten wir abzulehnen früh und vielfach Anlass.
In den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts war dies nicht gewöhnlich. Gemeinschaften waren in jener Zeit hauptsächlich als Wohngemeinschaft, auf sachlichem Felde, aus religiösen Begründungen oder im Verfolg einer gemeinsam vertretenen politischen oder ähnlichen Ansicht üblich und bekannt. Anscheinend anlassloses Zusammenwirken, getragen vom “Wie“ und von der Idee des Zusammenwirkens war neu und unterlag wie selbstverständlich kritischer Betrachtung und mancherlei Interpretationen und Spekulationen. Aus jener alternativen Szene, die heute vergessen und trotz ihres erheblichen Umfangs historisch wie getilgt scheint, gingen dann weitere Bewegungen und Gemeinschaften hervor. Auch diese, teilweise heute noch anzutreffende Gemeinschaften ranken sich hauptsächlich um bestimmte Aufgaben oder Zwecke und Ziele des Zusammenseins.  

Nach den überraschenden Ereignissen des Jahres 2020 hatten einige Menschen anscheinend hinreichend Anlass über ihre Lebensverhältnisse nachzusinnen. Eine erhöhte Zahl von Besucheranfragen bei der Kooperative konnte es aufgrund verschiedener Masznahmen nicht geben. Allerdings haben sich die Anfragen in diesem zeitlichen Abschnitt verändert: weniger Durchreisende, touristisch Interessierte, mehr Suche nach Perspektive.
Insbesonders für solche Be-Sucher ist dieser Text gedacht.

Wer nach Dürnau kommt, wird die Kooperative nicht nur wahrnehmen weil es wegweisende Schilder gibt. An der zentralen Kreuzung liegt auf der einen Seite das Speisehaus, auf der anderen unser Laden mit Telefonzentrale. Und Menschen sind – im Gegensatz zu den umliegenden Dörfern – auch tagsüber sichtbar, dazu Kinder und Radfahrer.
Wer die Kooperative sucht, ist dort richtig.
Unsere Gäste haben es nicht leicht, sich zurechtzufinden. Da sind viele Menschen, viele Namen, einige Häuser, ein paar Betriebe und Orte der Arbeit, die nach wie vor ein wichtiges Band unserer Gemeinsamkeiten ist. Meist braucht es Tage, bis sich die Gäste in all dem zurechtfinden und die Orte des Geschehens erlebt haben. Danach lernen auch wir jene kennen, die noch andere Fragen mitbringen. Das ist für Alle spannend, wenn Fragen auftauchen. Natürlich will mancher Gast wissen, warum wir unsere Uhren nicht umstellen, warum wir pünktlich und gerade um 18:00 Uhr essen, wo die ganzen Leute denn tagsüber sind, wie alles anfing und wer eigentlich mit dem Zusammenleben angefangen hat. Auch werden wir nach Anthroposophie gefragt, was wir über Kunst denken, wozu es die Dorfuniversität gibt und was wir denn über Dies und Das denken. Über solche Fragen sind auch wir erfreut und wenn möglich sprechen wir auch darüber mit den Gästen.

Vergessen wird mitunter, dass ja nicht nur Fragen mitgebracht werden. Wir schätzen den Erfahrungsschatz unserer Gäste, profitieren wir doch in vielfältiger Weise davon und freuen uns oft, hier auf dem Dorf von Geschichten aus der Stadt und der groszen weiten Welt zu hören. Besucht man einen so merkwürdigen Ort wie die Kooperative in Dürnau könnten sich allerlei Erfahrungen zu den bisherigen addieren. Doch Erfahrungen werden im Gedächtnis als Aufbewahrungsort gewöhnlich nicht nur gesammelt und gehäuft, sondern auch kategorisiert. Genauso natürlich ist es, neue Erfahrungen in den vorhandenen Kategorien einordnen zu wollen.
Das kann schiefgehen.
Hier könnte nun eine lange Liste folgen, beginnend mit der Anmerkung, dass wir keine “Einrichtung“ sind, über alle Kategorien bis dahin, dass wir nicht alle dasselbe wollen, unsere Angelegenheiten selber regeln, ohne Plenum aber in Übereinstimmung und sogar manchmal kontrovers. Da könnte erwähnt sein, dass es keine Verfassung, kein Regelwerk und keine Hausordnung gibt, dass wir aber durchaus gutes Benehmen zu schätzen wissen und dass ansonsten gilt: Erlaubt ist, was gefällt.
Und was gefällt uns? 
Selbstverständlich steht auch bei uns der Mensch im Mittelpunkt, doch um nicht Plattitüden aufzuhäufen bleiben wir bei dem, was uns interessiert. Bei den Menschen der Kooperative wird das Extraordinäre gemocht, werden Wahrnehmung und Aufmerksamkeit geschätzt, nicht weniger aber Nachdenklichkeit und wenn es solche ist, auch Kunst. Wir mögen Arbeiter der Hand genauso wie andere, schätzen Hilfsbereitschaft und unterstützen gerne sinnige Vorhaben.
Unsere Gäste mögen wir in der Regel auch und wollen mit dieser kurzen Vorstellung dazu beitragen, dass auch unsere lieben Gäste uns mögen.

  

...lange vor dem www.

Mitte der 70er Jahre begannen Gerriet Hellwig in Hannover und Rolf Reisiger in Wuppertal voneinander unabhängig und aus verschiedenen Motiven, ihre Beziehungsnetze in Form einer Handkartei darzustellen und zu veröffentlichen. Unvermeidlich war das Zusammentreffen, und im späteren Zusammenschluss entwickelte sich der "Informationsdienst der alternativen Kooperation" zu einem vielbenutzten – und vielgescholtenen – Dienst innerhalb der damals undogmatischen Szene der "Alternativen" mit fünf Dezentralen im Bundesgebiet.

Wir sahen es als unsere Aufgabe an, Menschen und Informationen aller Lebens- und Wissensgebiete miteinander in Kontakt zu bringen und neue Kommunikationsmöglichkeiten zu erforschen, die sich an den Bedürfnissen des Lebens, der Menschen und der Zukunft orientieren. Gerriet Hellwig schrieb dazu:

Für uns selber ist der Informationsdienst ein Weg zum Glasperlenspiel. Wir setzen Begriffe in Beziehungen zueinander, weben Netze daraus, verstricken uns auch mal drin, sehen, wie unterschiedlich Menschen Begriffe mit Inhalt füllen und wie sich dabei die Netze verändern. Wenn wir ein Stück weiter sind, werden sie wohl aussehen wie das Netz der Nervenzellen in unserem Körper. Nach solcher Arbeit ist es sehr nötig, wieder ins Leben rauszugehen oder in die Natur, oder nach innen, unter die Netze.

Das war nie ein Problem, denn neben vielen täglichen Anfragen nach der nächsten Landkommune, einem freien WG-Platz, alternativen Energien oder Kundalini-Yoga waren wir beliebtes Besucherziel. Tips, Tee und Gespräche mit mehr als dreihundert Besuchern im Jahr können eine Mietwohnung mit 56qm zu einem Ort gröszter Lebendigkeit machen. Vielmehr ein Problem war, dasz ein grundlegender Mangel an kommerzieller Ausrichtung der Arbeit im Zusammenhang mit unangepassten Ideen und dem dringenden Wunsch die Welt zu verstehen und zu verbessern, einen andauernden finanziellen Engpass verursachte. Teilweise Abhilfe schaffen sollte hier eine Druckmaschine, die im Zusammenhang des Infodienstes gekauft wurde und aus der mal später eine Druckerei werden sollte.
 

Der Umzug
 
Immer mehr Menschen tauchten auf und wollten "irgendwie mitmachen", und weil es tatsächlich auch Druckaufträge gab, wurde es qualvoll eng und chaotisch. Wir entschlossen uns, "aufs Land zu ziehen". Birgit Tontsch, Ines Müller und Ulrike Reisiger suchten vor Ort in Oberschwaben nach unserer neuen Bleibe. Nach einem Vierteljahr war es dann soweit: eine Druckerei im Lastwagen und sieben Haushalte im Lieferwagen machten sich im (wirklich kalten) Winter 1980 auf den Weg nach Dürnau.

Nun hatten wir etwas mehr Ruhe und vor Allem: Abgeschiedenheit. Die baulichen und die daraus folgenden Umstände waren allerdings ausreichend, um die Lücke zu füllen. Die Reprokamera stand im Bad und nach kalten Nächten mussten wir das Wischwasser in der Druckmaschine erst einmal mit dem Heizlüfter auftauen. Heizung, Stromversorgung, Wasser und was sonst zu den notwendigen Arbeitsbedingungen zählt, fehlte uns ebenso wie das einfachste Mittel zur Abhilfe – Geld. Und das war doch noch steigerungsfähig, denn bereits ein halbes Jahr nach dem Einzug entschied sich der Besitzer zum Verkauf des Hauses.
 

  
Wenn die Nacht am tiefsten...

In wirtschaftlichen Dingen völlig unverbildet, gehörte weder der Traum vom Eigenheim, noch die Phantasie vom eigenen Betrieb zu den Triebfedern unserer Aktivitäten. Dies nun als neue Tatsachen in unsere Lebensumstände einzubauen fiel uns denkbar schwer. Bis auf wenige Freunde, die uns auch bei den Problemen der Finanzierung weiterhalfen, waren die Prognosen unserer Situation miserabel. Sowohl in wirtschaftlicher Hinsicht (wo soll denn das ganze Geld herkommen) als in fachlicher Hinsicht (unter 15°C kann man gar nicht drucken) und letztlich auch in sozialer Hinsicht (das schafft ihr nie) wurden wir von den meisten der mitfühlenden Beobachter als eher am Absturz denn im Aufbruch eingeschätzt.

Zugegebenermaszen war diese Einschätzung naheliegend, denn die persönlichen und sozialen Belastungen dieser Zeit gingen hart an die Grenze des Erträglichen. Zur Sicherstellung der Finanzierung mussten Birgit Tontsch, Ines Müller, Wolfgang Ringes und Peter Tontsch verschiedenen Jobs ausser dem Hause nachgehen. Währenddessen bemühten sich die Daheimgebliebenen, den Druckereibetrieb wieder in Schwung zu bringen. Gesa Bund, Cordula Storch und Roger Nelke betreuten gemeinsam die Druckvorstufe an der Reprokamera und im Satz, die übrigen Arbeiten verteilten sich auf den Rest, die Nacht und das Wochenende. Ulrike Reisiger leistete schon zu dieser Zeit einen Vertrieb für eine Anzahl alternativer Kleinverleger und Ines Müller begann auch bald mit dem Aufbau der Buchbinderei, in der zu jener Zeit die ersten Marmorbücher und Briefpapiere aus Umweltschutzpapier entstanden.
 

Neuer Schwung
 
   Gerade dem schaurigen Abgrund entronnen, begannen wir bald, uns in unserem neuen Selbstverständnis als Wirtschaftsbetrieb einzurichten. Trotz problematischer Alltagsverhältnisse waren wir nun aufs neue Anziehungspunkt für Menschen verschiedenster Interessen geworden. Um diese mit Wohnung und Arbeit zu versorgen, begannen wir mit einem Streifzug durchs Ländle: in zügiger Folge richteten wir in Bad Buchau eine kleine Buchhandlung ein, erwarben ein kleines Stadthaus in Riedlingen (heute Fa. Ulf Timm), wurden Besitzer unserer Dorfkneipe in Dürnau – Goldenes Kreuz – und betrieben einen Bioladen in Saulgau. Darüber hinaus vertiefte sich die Verbindung zur Hofgemeinschaft Reute bei Biberach. Gut zwanzig Menschen tummelten sich so auf den verschiedensten Arbeitsfeldern über den Landkreis hinweg.

Endlich kam es so, wie unsere Kritiker ja immer schon gewusst hatten: die Chance, einen so groszen, diversifizierten und inhomogenen Zusammenhang aufrecht zu erhalten oder gar zu vergrössern, wurde durch soziale Querelen und den Egoismus einzelner Gruppen vertan. Die Riedlinger Gruppe löste sich auf, einige gingen nach Dürnau zurück, andere ganz. Die Reuter Landwirtschaft löste sich auf, nachdem die Initiativträger Traudi Frischknecht und Hansjörg Glauner ans Goetheanum nach Dornach gingen um dort Eurythmie und Naturwissenschaft zu studieren. Unsere Läden wurden geschlossen.

Und dann ganz ruhig weiter

Schon bald nach dem Abschmelzen auf einen kleineren Kern begann ein neues Wachstum. Die Dürnauer Mitglieder der anthroposophischen Gesellschaft begründeten den "Zweig in Dürnau". Am Rande und durch abenteuerliche Umstände kamen wir zu unserer Landwirtschaft, dem Aussiedlerhof "Hausee". zweieinhalb Hektar Land, einige Bruchbuden und vier Fischteiche umfasste das Anwesen, dessen Besitzer nun der von uns gegründete Fercher von Steinwand e.V. ist. Mittlerweile hatte sich auch Johannes Loriz bei der Kooperative eingefunden, der seine Hinneigung zum Buch schon in unserer Buchhandlung erprobt hatte und den Verlag von Peter Tontsch übernahm.

Und nicht nur weil zwischenzeitlich noch ein Wohnhaus erworben wurde, spielten und spielen Baufragen bei uns eine grosze, manchmal alles überschattende Rolle. Der Mangel an finanziellen Mitteln und eigenwillige Phantasie zur konkreten Gestaltung unser Bauvorhaben zwingt uns zum fast vollständigen Verzicht auf die Bestellung von Handwerkern. Nachdem nun aber einige Baustellen abgeschlossen sind, haben sich die meisten Vorbehalte gegen diese Herangehensweise erledigt.

Im ruhigeren Fortgang kam dann Nicole Timm zu uns, wurde unser erster Azubi, ein weiteres Grundstück wurde erworben, weitere Betriebe eingerichtet und gebaut und gebaut. Hansjörg Glauner kehrte aus Dornach zurück, Mechthild Altreuther kam als Schreiner zu uns, die Beratungsfirma "cooltour" wurde gegründet, die Sängerin Petra Ziebig gab ein Gastspiel in unserem Kreis und es wurde weitergebaut.

Mittlerweile sind Peter Tontsch und Petra Ziebig an den Bodensee verzogen und Mechthild Altreuther geht nun auf eine Alm. Die Schreinerei wird von Jan Hinrichs weitergeführt, der sich nach seiner Zeit als Bühnenhelfer in Dornach bei uns einfand.

Das Leben ist ein langer, ruhiger Fluss…

Und so kam es, dasz heute zwei händevoll Menschen mit den Anforderungen von ebenso vielen Einrichtungen und Betrieben ringen. In den sozialen Alltag sind nun auch einige Angestellte eingeflochten, die uns bei unseren Aufgaben helfen und interessante, neue Aspekte dem Sozialwesen hinzufügen.

Zukunft abseits ausgetretener Pfade zu gestalten, ist auch nach zwanzig Jahren in Dürnau einer unserer stärksten Impulse, wobei sich die Wahl der Mittel stark verändert hat. Aus dem Umfeld der alternativen Bewegung herausgewachsen, war das flexible Spiel mit den Alltagsaufgaben über lange Zeit ein Kernelement. Die Zunahme von sozialen Verpflichtungen und die wachsende Einbindung in wirtschaftliche Zusammenhänge haben dieses Element zurückgedrängt. An seine Stelle getreten ist die längerfristige Planung, die bei unserer Sozialgestalt einige Tücke mit sich bringt. Geblieben ist uns jedoch der ungebrochene Wille, auf neue Herausforderungen einzugehen, neue Menschen kennenzulernen und der Welt jeden Tag neu und mit Offenheit entgegenzutreten.

Hier, im Juni 2000 endete bislang unsere Darstellung, uns aber gibt es immer noch.

Um mit der Geschichte fortzufahren, scheint erwähnenswert, dass noch im Jahr 2000 ein Gästehaus in der Hirtengasse erworben wurde. Ein kleines Haus zugegeben und quantitativ garnicht auf die Zukunft konzipiert, doch wer schon konnte das ahnen.

Im gleichen Jahr noch fand unser erstes Sommer-Workcamp statt. Hatten wir doch von dieser wunderbaren Idee gehört, da kämen junge Leute, würden uns bei der Arbeit helfen, wir würden für Unterkunft, Verpflegung und Kulturprogramm zuständig sein. Und in der Tat, sechs Teilnehmer wurden uns zugeteilt, mit denen wir eine Menge Spasz hatten, die tatsächlich auch uns bei den allfälligen Arbeiten unterstützt haben, von denen es noch nie einen Mangel gab.
Der Aufwand allerdings war nicht unbeträchtlich und unterm Strich waren wir froh, nette junge Leute kennengelernt zu haben, was uns für die Umstellung unserer Arbeit entschädigt hat. In den Folgejahren bis 2012 hat der Fercher von Steinwand Verein dann die Organisation der Sommer-Workcamps in die Hand genommen und mit Schwerpunkt in der Landwirtschaft in jedem Sommer mit wachsenden Teilnehmerzahlen bis zu drei Workcamps angeboten.

Betriebliche Veränderungen
 

Zwischenzeitlich kauften wir uns einen klimatisierten Lastwagen, mit dem wir nicht nur die Tafelzeichnungen Rudolf Steiners durch Europa gefahren haben. Auch die UNESCO-Ausstellung der "Freunde der Erziehungskunst Rudolf Steiners" wurde in Zusammenarbeit mit dem Büro Lierl in unserer Schreinerei gebaut und anschlieszend durchs Land gefahren und verwaltet. 
  

Weil die Druckerei als wirtschaftliches Schwergewicht einen groszen Teil unserer Ökonomie bestimmte und mit demselben Gewicht auch einen aufreibenden Alltag, erschien uns ein gewisser Rückbau an Personal, Umsatzvolumen und Arbeitsbelastung als notwendig. Nach einer harten Arbeitswoche schon am Sonntag wieder über Druckaufträge und Arbeitsverteilung nachdenken zu müssen, war uns nach mehr als zwanzig Jahren Druckerei etwas zuviel geworden. Mittenrein in diese Veränderungen verliesz uns auch Cordula Storch, die nach Witten verzog.

Draussen vor dem Dorf ergab sich die Möglichkeit, unsere Schreinerei aus dem ersten Stock in ein ebenerdiges Gebäude zu verlagern. Dort stand ein Rinderstall leer. Doch vor die schöne Aussicht war uns in diesem Fall nicht nur der Erwerb des Grundstücks, sondern auch noch die Erschlieszung mit Wasser, Abwasser, Strom gestellt. Erst die Unterstützung unseres Bürgermeisters und der Kreissparkasse verhalf uns zu diesem Gewerbegebiet vor dem Dorf, was man "für unsere weitere Entwicklung richtig" hielt. Erschlieszung aber bedeutete, 180 Meter Leitungen zu verlegen, eine Gas-Hochdruck-Leitung zu unterqueren (muss die Fachfirma machen) und einen Keller zu bauen, von dem aus dann das Gelände versorgt werden kann. Eine grosze Aufgabe, selbst wenn man einen Bagger hat, und Arbeitsvorrat über Jahre.



Im selben Jahr stoszen Sascha und Ivana zu uns, genauso wie Emilia, die sich für die Fotografie stark macht. Doch was hält schon ewig – bald sind sie wieder in der Welt verstreut.
Ganz anders Dennis Mutembei Mucioka aus Kenia, der zur gleichen Zeit für ein Jahr als Praktikant in Dürnau anlandet und sich dann entschlieszt, eine Ausbildung als Tischler anzuhängen und erst nach vier Jahren wieder in seine Heimat zurückkehrt.

Mittlerweile haben wir technologisch umgerüstet. Die dritte Generation von Computern zieht in die Kooperative ein. Hatten wir noch in Wuppertal bereits mit einem Tandy TRS80 angefangen, so konnten wir eine ganze Weile mit NEXT-Betriebssystemen, schon UNIX-basiert, in Druck und Verlag weiterarbeiten. Als Steve Jobs wieder zu Apple zurückkehrte, mussten wir mitgehen und stellten zwangsweise auf Apple um. Auch wenn wir noch keinen "richtigen" Webshop hatten, konnten wir jetzt bereits per Internet Bestellungen annehmen.

Johannes Loriz übernahm ein Mietwagenunternehmen und machte sich und andere mobil. Tägliche Fahrten zu den Flughäfen in Stuttgart, München und Zürich brachten nicht nur für ihn, auch für den Rest der Kooperative eine Menge Bewegung auf.

Nicole Timm und Rolf Reisiger setzten mit der gemeinsamen Firma die Beratungstätigkeiten fort und kamen durch Verkettung von Umständen in die merkwürdige Lage, kleine Firmen kurz vor dem Bankrott entweder abzuwickeln oder zu retten. Eine wechselhafte Tätigkeit, in der Erfolg und Misserfolg in uneinschätzbarer Folge sich aneinanderreihen. Auch wenn eine solche Betätigung nicht dauernd durchzuhalten ist, so sind doch wertvolle Erkenntnisse verblieben.

Mehr Veränderungen

Doch nicht allein betriebliche Entwicklung findet statt. Auf dem Hof Hausee wird ein Garten angelegt und nicht nur in der Landwirtschaft gibt es Weiterentwicklung im Verein. Nach einer längeren Pause belebt sich die Jugendarbeit wiederum. In unregelmäsziger Folge nehmen wir junge Menschen bei uns auf, die sich an Schule, Eltern oder Gesellschaft reiben. Nicht immer erlauben die Umstände eine Lösung unter den gegebenen Verhältnissen und so kommt es vor, dass ein zeitweiliger Aufenthalt in der Kooperative als unterstützende und beruhigende Masznahme dienen kann. 2004 wird der Fercher von Steinwand Verein als Träger der freien Jugendhilfe anerkannt.

Die Schreinerei hat nun endlich eine Heizung und nun kann auch im Winter dort gearbeitet werden. Jan Hinrichs hatte sich schon allein der Winterpausen wegen neben seiner Profession als Schreiner in die Video-Filmerei vertieft. Gelegentlich kleine Aufträge in der Tanzschule werden ergänzt durch einige freie Arbeiten aber auch durch Projekte zur Städtepartnerschaft und die Begleitung der "open eyes 2005" an der Humboldt-Universität am Adlershof, die nahezu vollständig dokumentiert wurde.

Die gelegentliche Zukäufe von kleinen Stückchen Land wurden in der Flurbereinigung zu einem schönen arrondierten Grundstück zusammengefasst, das mit seinen fünf Hektar für eine richtige Landwirtschaft zwar immer noch zu klein ist aber nun in ganz anderer Weise gestaltet werden kann. Neue Hecken werden angelegt, ein Acker ist uns auch zugewachsen. Nach dem Abschluss der Flurbereinigung hatte sich das komplette Amt bei der Kooperative in Dürnau eingefunden. Die wollten uns einmal kennenlernen, wollten wissen, warum dort so anders gearbeitet wird.

Agata Chmielewska ist nach einem Sommer-Workcamp zu uns gestoszen und hat ihr Übersetzungsbüro in der Dorfmetzgerei eingerichtet. Die Metzgerei liegt in der Dorfmitte, wurde dann mit dem Hausnamen City-Center versehen und natürlich auch umgebaut. Im vorderen Teil haben wir ein Ladenlokal eingerichtet, wo die Produkte unseres Vertriebs erhältlich sind, wo eine Tafel für den Sprachunterricht hängt, die Telefonzentrale eingerichtet ist und Besucher empfangen werden können. Hier haben wir die ersten Sessel in der Kooperative angeschafft, denn wer zu Besuch kommt, hat es auch mal gemütlich. Im hinteren Teil gibt es immer noch die Metzgerei, den Kühlraum und die Gefrierkammer, die sich als ungemein praktisch erweisen, wenn man eine Landwirtschaft mit Kühen und Schafen betreibt.

Auch die Häuser verändern sich. Unser legendär gewordenes Esszimmer hat einen schönen Ofen bekommen und ist auch sonst ganz nett. Die Schreinerei ist mittlerweile vollständig umgezogen und Im Grund ist der linke Teil des Altbaus entfernt. Es entsteht ein Entwurf für den Gasthof Goldenes Kreuz.

Hannah Bindewald tritt eine Ausbildung zur Bürokauffrau an, die sie zwei Jahre später mit besten Noten, Auszeichnungen und haufenweise Büchergutscheinen abschlieszt. Jan Hinrichs hat seine Meisterprüfung bestanden und arbeitet mit Barbara zusammen in der Schreinerei. Alexander Reisiger avanciert zum Leiter der Musikkapelle im Dorf.

Spielerische Vorübungen für eine nächste Epoche

Nach angemessener Umstellungszeit kommt unser Acker in den Normalbetrieb. Wir ernten von Hand und erregen die Aufmerksamkeit eines Fotografen, der gleich die Zeitung alarmiert. Wie vor fünfzig Jahren? Vielleicht ja auch wie in fünfzig Jahren.



Zur Beantwortung offener Forschungsfragen trägt Rolf Reisiger 44 Tage lang eine Umkehrbrille. So entsteht eine vertiefte Forschungsarbeit, die unter anderem zur Archivierung des Nachlass' von Ivo Kohler an der Universität Innsbruck führte und sich weiter fortsetzt.
Ulrike Reisiger bastelt eine überaus attraktive Diashow und wegen der gewachsenen Gästezahl müssen wir die Unterstützung von Hansjörg Glauner in Anspruch nehmen, der in seinem Altbau bereitwillig unsere "Jugendherberge" als einen weiteren Unterbringungsort in Betrieb nimmt.
Nicole Timm verlässt die Kooperative und siedelt sich mit ihrer Firma in Ulm an, von wo aus sie uns noch immer in den meisten Büroangelegenheiten unterstützt. Iavor Kirlov kommt an und stürzt sich noch am ersten Tag in die Arbeit. Auch Daniel Wiseman, den wir in einem Workcamp kennenlernten kommt für ein Jahr zu uns und bemüht sich mit Erfolg um Architektur-Studenten, die für ein Praktikum nach Dürnau kommen. So lernen wir Esme Brooker, Hannah Hurst und andere Studenten kennen, die mit wechselndem Erfolg hier tätig sind.
Zu uns gekommen ist auch Jasmine Reisiger, die als Teilnehmer im Sommer-Workcamp noch Shields geheissen hat.

Weihnachten in den Bergen

Vierzehn Tage zu Weihachten sind nicht nur eine beschauliche Zeit, sind auch die Zeit, in der die Kooperative sich abseits aller Geschäftigkeit zu einer jährlichen Konferenz zusammenfindet. Neben einer themenzentrierten Arbeit sind wir immer auch um einen Ausblick auf das kommende Jahr bemüht. 2011, rund dreissig Jahre nach unserer Ankunft in Dürnau hatten wir wieder einmal die Gelegenheit, uns zu diesem Zweck auf der Hütte geschätzter Freunde in Arosa zu versammeln.
Wie nebenbei wurde dort das neue Unternehmen von Alexander Reisiger begründet. Im Mittelpunkt unserer Vorschau aber stand die Ausweitung unserer Aktivitäten im Bildungsbereich. In den Sommermonaten hatten wir hinreichende Einblicke in die Ergebnisse unseres "Bildungssystems" aufgesogen. Verkopfte Studenten, vollgestopft mit Theorie, unerfahren in allen Dingen des praktischen Alltags waren uns ebenso vertraut wie die Schulprobleme junger Menschen.
Ohne Namen zwar, doch in ersten Schritten der Zielsetzung entstand die Dorfuniversität als Idee. Praktische Kurse aus Landwirtschaft und Wirtschaft, ergänzt mit künstlerischen Angeboten bilden eine Säule der Dorfuniversität, das Angebot eines Grundstudiums die andere. Ein zweiter Prospekt wird für 2014 aufgelegt.
Besonders das landwirtschaftliche Kursangebot wird mit Freude aufgenommen und Johannes Loriz verteilt seine Bienenkörbe in der Welt. Wir lernen das Stuttgarter UniExperiment kennen, wirken mit und die ersten Studenten tauchen auf, machen uns Vorstellungen vom Neubau des Studentenhauses.
Unser Esszimmer stöszt an seine Kapazitätsgrenzen.

Oktober 2014


Überraschend anders
Die zweite Säule der Dorfuniversität, das Studium, gewann in dieser Zeit eine wachsende Bedeutung. Hier in Dürnau wurden einige junge Leute aus dem Uniexperiment bei Studien begleitet, an anderen Orten nahmen wir an Bildungs-Veranstaltungen teil, veranstalteten Seminare und Workshops, und es etablierte sich ein Pädagogentreff mit Studenten und Lehrern, der fast drei Jahre fortgesetzt wurde.   

Im Dürnauer Alltag hatten wir uns nach internen Meinungsverschiedenheiten letztendlich doch für den Kauf eines angebotenen Hauses in der Dorfmitte entschließen können. Und die Frage, was wir mit einem leeren Haus anfangen wollen, beantwortete sich überraschend nach der Auflösung des Stuttgarter Uni-Experiments: vier Studenten fanden einen sicheren Platz für Studium und Leben.
Noch einer unserer Nachbarn verlegte seinen Wohnort und ermöglichte uns die Erweiterung unserer Wohnmöglichkeiten. Esme Brooker, eine sehr geschätzte Studentin der Architektur von der Glasgow School of Arts entwarf die Pläne für unser neues Gästehaus, fortan Studentenhaus genannt, da die Studenten der Dorfuniversität den Neubau zum Erwerb verschiedenster Fertigkeiten nutzten. Doch nicht allein die Tätigkeiten auf der Baustelle mussten von den Neuangekommenen erlernt werden. So entschieden sie sich für erweiternde Tätigkeiten im Büro, in der Schreinerei und im Vertrieb neben dem fortlaufenden, nun ein wenig reduzierten Studium.

 

Kurz nach dem Erscheinen der Studenten kam auch Mireia Puente de la Vega aus Katalonien, die vor einigen Jahren an einem Workcamp teilgenommen hatte, mit Familie nach Dürnau. Nicht nur ihr abgeschlossenes Studium der Agrarwissenschaft sondern auch einige Jahre praktischer Tätigkeit im eigenen Betrieb ermöglichten uns nun eine betriebliche Erweiterung. Zwei Jahre nach einer ersten Anfrage sahen wir uns jetzt in der Lage, eine uns angebotene Gärtnerei in Altshausen zu übernehmen. Diese stand bereits einige Jahre leer, hatte als konventionelle Staudengärtnerei auf dem Gelände und in den Gewächshäusern keine Erde und wurde mit einer Ölheizung versorgt. So waren die Aufgaben nicht allein auf den Aufbau einer Gärtnerei beschränkt sondern forderten auch die ganze Vielfalt unserer baulichen Kenntnisse und Fertigkeiten ab. Auch nach fünf Jahren suchen wir noch Gärtner, setzen die Baumasznahmen fort und erleben die notwendigen Tätigkeiten als magnetischen Pol, der während des Sommers unsere Kräfte in Garten und Landwirtschaft bindet.

   So viele unerwartete Neuzugänge in einem Jahr erforderten eine Verlängerung am Esstisch – kurzfristig. Das gerade erworbene Haus allerdings liesz Neues zu, und so konnten wir nach einer zügigen Aktion mit Küche und Esszimmer in den provisorisch hergerichteten Ferkelstall umsiedeln. Bereits geübt im Umbau von Heizungen waren dann die Gärtnerei und das Wohnhaus am Speisehaus ebenfalls bald mit Wärme versorgt.

Obwohl der Pädagogentreff mit zunehmender Konkretion in Richtung einer möglichen Begründung der Neuen Oberstufe zunehmend ausdünnte, nahm die Beschäftigung mit Pädagogik nicht ab. Durch die Tätigkeit des Fercher von Steinwand Vereins im Bereich der Jugendhilfe und die andauernden pädagogischen Interessen der Studenten ergab sich die Möglichkeit, länger als ein halbes Jahr einige Bereiche der Neuen Oberstufe zu erproben. Das immerhin so erfolgreich, dass unsere “Lehrer“ von einer freien Schule für eine Geographie-Epoche eingeladen wurden.

Mittlerweile haben sich Tätigkeiten und Interessen in der Dorfuniversität weiter entwickelt. Die Hinneigung zur Pädagogik hat sich mit anderen Bestrebungen gemeinsam zur Behandlung einer Neuen Ästhetik als zentralem Thema verschoben. 


Als weitere Aktivität im Bereich der Kurse vertieften Johannes und Agata ihre Beschäftigung mit den Bienen, boten vermehrt Kurse an und erweiterten den Kreis von Freunden der Korbbienen bis in den fernen Osten.
 
 

Neben all den verzweigten Anstrengungen und Projekten gelang es Alexander Reisiger, seinen Allround-Dienst auszubauen, der im Gegensatz zu seiner Person nicht integraler Bestandteil der Kooperative ist. Die ständig wachsenden Tätigkeiten umfassen mittlerweile Sommer und Winter, einen weiten räumlichen Umkreis und einem beachtlichen Personalstamm.

Zu Weihnachten 2019 kam ein neues, groszes Grundstück mit verschiedenen Gebäuden und Wohnhaus auf uns zu, das vierte in fünf Jahren. So bedarf es wenig Phantasie, dasz – nach wie vor – der Bautätigkeit in unserer Zukunft eine besondere Bedeutung zukommt.

Angesichts des fortwährend empfundenen Mangels an fachlich ausgebildeten oder interessierten Menschen gibt es nun, im Sommer 2020 den Beschluss, auf diesem Gebiet unsere Haltung von Hoffen und Warten in die Richtung aktiven Handelns zu verschieben, sofern es unsere zeitlichen Möglichkeiten erlauben. Eingeladen sind insbesondere Gärtner, Architekten, Bauhandwerker, Drucker, Computerfachleute, aber auch Tätigkeiten auf neuen Sachgebieten könnten uns möglicherweise affizieren.

Sommer 2020