Der Merkurstab, Heft 1 2007
Diagnose und Therapie durch Licht, Finsternis und Farbe bei sexuellem Missbrauch und Multipler Sklerose
E. Leonore Hambrecht und A. Zucker
Band 2.2. Unter Mitarbeit von G. Roeber, Verlag der Kooperative Dürnau.
247 Seiten, reichhaltig bebildert. Erschienen 2006. ISBN 3-88861-053-2

Das obige Thema ist bereits in einer vorhergehenden Veröffentlichung unter dem Titel "Licht, Finsternis und Farbe in der Maltherapie", Band 2.1 (2004) angekündigt worden. Licht, Finsternis und Farbe in der MaItherapie ist die Arbeitsweise der Malerin und Therapeutin Lliane Collot d'Herbois (1907-1999). Sie war für viele Jahre Mitarbeiterin der Ärztinnen Ita Wegman und Hilma Walter und hat in ihrer zweiten Lebenshälfte diese Licht-Finsternis- und Farb-Therapie aus der Geisteswissenschaft Rudolf Steiners heraus entwickelt. Die Autoren stellen mit diesem Buch den zweiten Band einer Reihe "Licht/Finsternis/Farbarbeit" dar, weitere sind geplant über andere Therapiethemen.

Dieser Band 2.2 hat zwei Teile: in Teil 1 ist die diagnostisch-therapeutische Arbeitsweise bei sexuellem Missbrauch dargestellt (12 Patientinnen), in Teil 2 bei Multipler Sklerose (5 Patientinnen, 1 Patient). Zwischen beiden gibt es eine Überleitung, in der die Zusammenhangsfrage erörtert, und die Entstehung der Multiplen Sklerose in einen tieferen anthroposophischen Zusammenhang gestellt wird (in Zusammenarbeit mit G. Roeber).

Teil 1 beginnt mit einer kurzen, klaren Einführung in die Grundsätze der Licht-Finsternis- und Farb-Therapie, die als Kernstück eine übersichtliche Zusammenfassung der zwölf grundlegenden Licht- Finsternisübungen in Kohle von Collot d'Herbois enthält. Hierin spricht sich das Zentrale dieser Arbeitsweise aus. Durch sie werden die schöpferischen Kräfte Licht und Finsternis als kreative Prozesse im Menschen wachgerufen und durch das therapeutische Malen so gestaltet, dass sie ordnend und gesundend (i. S. der Salutogenese) auf den Ausführenden, den Patienten, zurückwirken. lm Kohlemalen können die Wirkungen dieser schöpferischen Kräfte am unmittelbarsten wiedergegeben werden, weswegen es eine so besondere Beachtung und Anwendung findet. Im geistig-kosmischen Bereich wirken Licht und Finsternis als unsichtbare, schöpferische Kräfte, das Dasein hervorbringend. Im Menschen erscheint Licht als Gedanken- und Vorstellungskraft zusammen mit der Bildung des Formgebenden Nervensystems, und die Finsternis als Willens- und Bewegungskraft, das Stoffwechsel- und Bewegungssystem schaffend. Im irdischen Bereich erscheint Licht als Tageslicht und Gestaltungskraft, Finsternis als Substanz (Stoff) und Bewegung. Im Zusammenwirken bringen Licht und Finsternis die sichtbare Welt in Farben hervor.

E. L. Hambrecht (Maltherapeutin) und A. Zucker (Allgemeinarzt) arbeiten, wie auch andere Therapeuten, schon viele Jahre nach dieser Methode und verfügen über reichhaltige Erfahrungen in Diagnostik und Therapie. Viele der vorgestellten Patientenbilder sind noch mit Liane Collot d'Herbois besprochen worden (Dokumentation im Archiv IONA, Owingen).
Zu den Abbildungen ist generell zu sagen, dass die Wiedergabe trotz notwendiger Verkleinerung gut gelungen ist und sich für die z. T. sehr detaillierten Bildbesprechungen sehr gut eignen.

Den Patientenvorstellungen geht eine Demonstration regulärer Licht-Finsternis-Farbübungen voran zur Möglichkeit des Vergleichens für den Betrachter. Die betroffenen Patienten hatten der Veröffentlichung ihrer Krankengeschichte zugestimmt.

Es werden dann die Patienten vorgestellt, die wegen sexuellen Missbrauchs zur Diagnostik und Therapie durch Licht, Finsternis und Farbe kamen. Sie hatten keine Multiple Sklerose. Es sind 12 Patientinnen: 4 Kinder (5-12 Jahre), 2 Jugendliche (16-19 Jahre), 6 Erwachsene (21 - 60 Jahre). Kurz zusammengefasst kamen die Kinder wegen Verhaltensstörungen, die Jugendlichen und jungen Erwachsenen wegen seelischer Unsicherheiten bis zu seelischen Ausnahmezuständen, einzelne von ihnen gaben den sexuellen Missbrauch auch direkt als Grund des therapeutischen Hilfeersuchens an. Die Erwachsenen kamen zur Therapie wegen seelischer Ausnahmezustände, Depressionen und hatten teiiweise organische Krankheiten, wie Neurodermitis und Fibromyalgie, oder massive Struma und Panmyelopathie.

Die Methodik des Malens, des Auswertens der Bilder und die Einführung der Patienten erfolgt während der laufenden Patientenvorstellungen (s. auch hinten). Es werden anfangs 2-3, selten auch mehr, freie oder Diagnose-Bilder von den Patienten erstellt, zu denen sie zwar eine eIngehende Einführung erhalten, dann aber spontan, frei malen. Es werden vorher noch keine biographischen oder anamnestischen Gespräche geführt. Den Autoren ging es in der Veröffentlichung besonders um diese Diagnose-Bilder, da sich bei sexuellem Missbrauch ganz spezifische Merkmale in diesen freien Bildern immer wieder zeigten, in jedem Bild etwas anders, aber jedes Mal typisch. Der Kürze halber seien als solche spezifischen Merkmale hier nur erwähnt die mehrfachen Lichtquellen, die innerhalb des Bildes auftreten, besonders im unteren Bereich. Sie stellen schädigende Bewusstseinsprozesse am falschen Ort im Organismus dar.

Bei 5 Patienten wurde nur mit Farbe gemalt, und zwar mit den Kindern und Jugendlichen. "Ob mit Kohle oder mit Farbe therapiert werden soll, bestimmt die Art der Erkrankung, aber auch das Alter. Erst wenn der Mensch die Ich-Reife erlangt hat, kann ihm die geistig logische Strenge der Licht-Finsternis-Übungen zugemutet werden, bis dahin bleibt das seelische Element der Farbe das Mittel der Wahl. " Von diesen jungen Patienten wurde das Licht (Lichtgrün, Smaragdgrün, Viridian) auch als mehrfache Lichtquellen in ungewöhnlicher Weise in das Bild unten herein gebracht.

In der Überleitung wird dargestellt, dass die mehrfachen Lichtquellen, wie sie bei sexuellem Missbrauch auftreten, auch in den Diagnose Bildern von Multiple-Sklerose-Kranken zu finden sind. Die daraufhin erfolgte biografische Anamnese bestätigte den sexuellen Missbrauch in einem hohen Prozentsatz.

Im Gegensatz zur üblichen Auffassung wird die Multiple Sklerose von den Autoren nicht als primäre Entzündung aufgefasst, sondern diese als sekundäre Reaktion auf einen zuvor erfolgten degenerativen Prozess betrachtet, der u. a. durch Kälteeinwirkung, seelische Schocks, intellektuelle Überbeanspruchung ausgelöst werden kann. Das Gleichgewicht zwischen Aufbau und Abbau von Organgewebe kann so zu einem verstärkten Abbau hin verschoben werden, was sich im frühen und mittleren Kindesalter häufig an dem empfindlichen Nervengewebe niederschlagen kann, aber erst in einem späteren Lebensalter zur Organerkrankung führt, wenn das Nervensystem in seiner vollen Funktionsfähigkeit beansprucht wird. Der Entzündungsprozess ist der Versuch des Organismus, durch Selbstheilung den degenerativen Prozess auszugleichen. Im Falle der Krankheitsmanifestation übersteigt dieser Selbstheilungsvorgang bei weitem das heilende Maß.

In Teil 2 werden 6 Multiple Sklerose Kranke (5 Frauen, 1 Mann) vorgestellt, in deren Diagnose-Bildern mehrfache Lichtquellen am falschen Ort und Lichteinstrahlungen von außen an falscher Stelle auftreten. Vier Patientinnen gaben sexuellen Missbrauch an, zwei Patienten nicht (1 Frau, 1 Mann). Der Patient erlitt kurz vor Ausbruch der Krankheit eine akute Unterkühlung durch Baden in einem eiskalten Gletschersee, die Patientin hatte als Kind ein Schockerlebnis durch einen Zimmerbrand. Somit wird von den 6 Patienten mit Multipler Sklerose viermal sexueller Missbrauch beschrieben und zweimal nicht. Aus dem im Anhang gedruckten Kapitel über Multiple Sklerose aus dem Band 2.1 (2004) werden allerdings 9 MS-Kranke erwähnt, von denen 8 Missbrauch erlitten hatten. Bei beiden Angaben handelt es sich jeweils um eine kleine Patientengruppe von Einzelfällen. Auch ist eine gewisse Auswahl der Patientinnen wahrscheinlich.

Mit den typischen Strukturen in den Diagnose-Bildern bei beiden Patientengruppen wird aufgezeigt, dass Schockzustände im kindlichen Alter, wie sexuelle Gewalt, Kälteschock, u. a., Bewusstseinsvorgänge in einem Organismusbereich wachrufen, in dem noch vollständig unbewusster Organaufbau stattfinden soll. Die durch solche Bewusstseinsprozesse ausgelösten, verfrühten Abbauvorgänge am Nervensystem stellen nach dieser Auffassung die primär kränkende Situation dar. Das Auftreten mehrfacher Lichtquellen an falschen Orten und das Fehlen oft jeglicher aufbauender Finsternisbewegungen in den Diagnose-Bildern kennzeichnet diese Situation auf der "Bild schaffenden" Ebene. Mit dieser Entdeckung haben die Autoren zur Auffassung des primär degenerativen Ereignisses in der Pathogenese der Multiplen Sklerose einen wichtigen Beitrag geleistet. Durch die Diagnose-Bilder können sie den organischen Befall (oder beginnenden Zerfall) bereits wahrscheinlich machen, wenn es noch nicht zu Ausfällen in der Nervenfunktion gekommen ist, oder auch, wenn es gar nicht dazu kommt.

Hilfreich wäre es, wenn das Methodische (s. vorne) in einem Extrakapitel zusammengefasst dargestellt würde. Das Literaturverzeichnis ist differenziert. Es gibt eine beachtenswerte Sammlung von Angaben aus dem Werk Rudolf Steiners mit einer Stichwort Aufstellung, eine Literaturliste anthroposophischer Autoren, die über MS veröffentlicht haben (von 1947 bis jetzt), und zu jedem Kapitel gibt es
konkrete Literaturangaben.

Die vorliegende Arbeit trägt in spezieller Weise zum Verständnis der Krankheitsentstehung und zur Therapie der Multiplen Sklerose bei, in dem sie durch maltherapeutisch spezifische Merkmale der Licht-Finsternis- und Farb-Diagnostik frühkindliche Organschädigungen des Nervensystems, ausgelöst durch unterschiedliche seelische Schockerlebnisse, aufzudecken vermag. Sexueller Missbrauch kam in dieser Patientengruppe relativ häufig vor. Der Zusammenhang wird für jeden Einzelfall durch typische Diagnose-Bilder und biografische/anamnestische Angaben erbracht. Weitere Untersuchungen sind notwendig, um unterschiedliche seelische Schockerlebnisse und deren organische Auswirkungen (auch zeitlicher Abstand zwischen Trauma und Manifestation) noch gezielter differenzieren zu können.

Sehr positiv kommt auch heraus, wie aus den Diagnose-Bildern der Heilbedarf abgelesen und – durch den Therapeuten geleitet – vom Patienten selbst ausgeführt werden kann, eben auch von Kindern.

Das Buch wendet sich an Therapeuten, die reichliche Anregungen finden werden. Es wendet sich an Arzte, um ihnen die Möglichkeiten und Besonderheiten dieser Licht-Finsternis- und Farb-Therapie nahe zu bringen und an interessierte Laien, die durch die sehr gute Bebilderung und deren ausführliche Besprechung mit dem Thema in maltherapeutischer Hinsicht bekannt gemacht werden. Patienten kann es anregen, sich einer solchen Therapie zuzuwenden.

Dr. Hans Christoph Kümmell

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